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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 07.09.2005


Gründerinnen und Unternehmerinnen im Parteien-Focus
Ilka Fleischer

Was bringen die Neuwahlen für die unternehmerische Selbstständigkeit von Frauen mit sich? Wir befragten Politikerinnen im E-Interview zu ihren Plänen...





Anlässlich der vorgezogenen Neuwahlen fragten wir folgende Politikerinnen:
  • Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (SPD)
  • Ursula von der Leyen, niedersächsische Sozialministerin (CDU)
  • Irmingard Schewe-Gerigk, MdB, Parlamentarische Geschäftsführerin, Sprecherin für Frauen- und Altenpolitik der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÃœNEN
  • Dagmar Enkelmann, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei
  • Ina Lenke, MdB, Familien-, frauen- und zivildienstpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen
  • Monika Christann, Direktkandidatin für die Feministische Partei DIE FRAUEN im Wahlkreis 82 Tempelhof-Schöneberg
Die mit einem Unterstrich gekennzeichneten Politikerinnen haben geantwortet.



Ilka Fleischer: Trotz des "Gründerinnenbooms" der vergangenen Jahre ist die Selbstständigenquote bei Frauen in Deutschland laut Global Entrepreneurship Monitor mit 6,6 Prozent nur halb so hoch wie die der Männer und im internationalen Vergleich am niedrigsten. Was plant Ihre Partei, um die Gründerinnen- und Unternehmerinnenlandschaft in Deutschland attraktiver zu gestalten?

RENATE SCHMIDT: Frauen, die sich beruflich Selbstständig machen, fördern wir durch die Gründerinnenagentur, die bundesweit Frauen in allen Branchen und allen Phasen der Gründung berät und unterstützt. Auch mit Geld helfen wir ganz konkret: Unsere Kreditprogramme für kleingewerbliche Gründungen haben einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil. Und damit es mit der Karriere weiter geht, haben wir zusammen mit prominenten Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kultur und Politik das Internet-Portal www.frauenmachenkarriere.de gegründet. Das Portal bietet schnelle und sachgerechte Informationen, wer persönliche Unterstützung sucht, kann hier eine Mentorin finden und auch der Austausch von Erfahrungen ist möglich. Nicht vergessen darf man aber auch ein ganz praktisches Problem vieler Frauen, nämlich das der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier sorgen wir mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz dafür, dass bis 2010 rund 230.000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen werden, damit Mütter wieder ihrem Beruf nachgehen können, wenn sie wollen.


IRMINGARD SCHEWE-GERIGK: Immer noch gibt es bei weitem weniger Gründerinnen als Gründer - dennoch: Seit 1991 hat sich die Zahl der selbstständigen Frauen in Westdeutschland verdoppelt. Das Potenzial von
Gründerinnen ist aber noch längst nicht ausgeschöpft. Denn: Frauen haben bei den Existenzgründungen oft Startnachteile. Ein typisches Hindernis bei kleingewerblichen Gründungen ist die Schwierigkeit, an Kapital zu kommen. Das Förderinstrumentarium der Bundesregierung für kleinbetriebliche Gründungen hilft vor allem gründungswilligen Frauen: Die Kreditprogramme Startgeld und Mikrodarlehen weisen mit 27 Prozent und 30 Prozent einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil auf. Das wollen wir fortführen. Weiterhin müssen Angebote und Maßnahmen, wie z. B. Beratungs-, Aus- und Weiterbildungsangebote, auf frauenspezifische Bedürfnisse abgestimmt werden. Zum Beispiel durch einen modularen Aufbau von Schulungsangeboten, damit diese sowohl für Einsteiger als auch für Fortgeschrittene in Anspruch genommen werden können. Auch Informationen zu den Auswirkungen einer Selbstständigen Tätigkeit auf die soziale Absicherung von ExistenzgründerInnen sind notwendig.
Außerdem wollen wir Frauen dabei unterstützten, auch Gründungen außerhalb eher "typisch weiblicher" Branchen (haushalts- und personenbezogene Dienste) anzustreben, die ein größeres wirtschaftliches Potenzial bieten.


MONIKA CHRISTANN: Die Politik der letzten Jahre mit den Konzepten wie Ich-AG etc. hat unser Gründungsprogramm, das wir in den letzten Jahren nur in einigen Punkten modifiziert haben, längst überholt. Wir haben uns für die nächste Zeit vorgenommen, unser gesamtes Programm zu prüfen und zu überarbeiten. Deswegen kann ich aus meiner Sicht nur folgendes sagen:

Auch für Gründerinnen/Unternehmerinnen gilt: flächendeckende Kinderbetreuung, auch für unter Dreijährige! Lohnersatzleistung kurzfristig bzw. langfristig ein existenzsicherndes Grundeinkommen, damit die Partner/Partnerinnen wegen der Kinderbetreuung nicht in die Armutsfalle geraten.

Wenn das Unternehmen gegründet ist, ist es wichtig, dass sich die öffentliche Auftragsvergabe gezielt an Unternehmerinnen richtet. Amerika macht es uns schon seit vielen Jahren mit der "affirmative action" vor: Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen Frauen mit hinzu gezogen und berücksichtigt werden. Das ist per Verordnung machbar. Denkbar wäre für mich auch, dass die IHKs und die Kommunen Werbung für Frauen-Unternehmen machen, indem z. B. eine öffentlich zugängliche Liste mit Frauen-Unternehmen regelmäßig jährlich erstellt und verbreitet wird. Das kann allerdings nicht verordnet, wohl aber auf die Kommunen und IHKs Einfluss genommen werden.

Das Gender Budgeting ist zumindest in den Bundesverwaltungen und im Öffentlichen Dienst anzuwenden. Hier geht es nicht nur um die Verteilung der Gelder innerhalb des Haushaltes für bestimmte Gruppen, sondern auch um die Vergabe von Aufträgen. Frauen müssen dabei zur Hälfte berücksichtigt werden - auch bei großen bedeutenden und finanzträchtigen Ausgaben.

Ansonsten sieht unser Gründungsprogramm die Subventionierung von Existenzgründungen von Frauen insbesondere in typischen "Männerberufen" vor.


Ilka Fleischer: Der Erfolg der ICH-AG ist umstritten. Fest steht: Bislang wurden rund 332.000 ICH-AGn gegründet, fast jede zweite von einer Frau. Da sich die Überbrückungsgeld-Förderung in der Regel nur bei einem relativ hohen Arbeitslosengeld lohnt, dominieren bei den Überbrückungsgeld-EmpfängerInnen klar Männer mit 71,4 Prozent. Die CDU hat angekündigt, im Falle der Regierungsübernahme die ICH-AG zu streichen. Unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergerechtigkeit scheint allerdings eher die Überbrückungsgeld-Förderung bedenklich. Wie wird Ihre Partei Gründungsförderung aus der Arbeitslosigkeit zukünftig - mit oder ohne ICH-AG - geschlechtergerecht gestalten?


RENATE SCHMIDT: Es ist für uns ganz klar, dass die bestehenden Förderinstrumente Frauen - vor allem den Langzeitarbeitslosen und Nichtleistungsempfängerinnen - entsprechend ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit zugute kommen müssen. Die Ich-AG ist ein Instrument unter mehreren, mit dem Frauen erfolgreich den Sprung in die Selbstständigkeit schaffen können, und deshalb werden wir sie nicht abschaffen.


IRMINGARD SCHEWE-GERIGK: Bündnis 90/Die Grünen halten beide Instrumente - Überbrückungsgeld und Ich-AG - für grundsätzlich sinnvoll und wollen sie beide weiter fördern. Die Geschlechterproblematik liegt hier nicht in den Instrumenten. Sondern darin, dass sich unsere Geschlechterverhältnisse - die in der Bundesagentur für Arbeit sehr stark manifestiert sind - in den Instrumenten, ihrer Vergabe und ihrer aktiven Auswahl spiegeln. Männer verdienen durchschnittlich mehr, und haben daher auch einen höheren Leistungsbezug - darum wird das Überbrückungsgeld meist mehr an Männer vergeben, während der Existenzgründungszuschuss niedrigen Lohnersatzleistungen - den Frauen - nützt. Auch, ich zitiere eine Studie der Bundesagentur für Arbeit, ist die Förderung durch Existenzgründungszuschuss "geeignet, Teilzeit-Präferenzen mit zusätzlichen Freiheitsgraden durch die Selbstständige Berufsausübung zu integrieren. Es gibt Hinweise darauf, dass eine solche (Teilzeit)-Selbstständigkeit oftmals mit dem Ziel ausgeübt wird, einen zusätzlichen Teilbeitrag zum Haushaltsgesamteinkommen zu generieren."
Die hinzuverdienende Ehefrau ist in Deutschland Realität. Wir wollen dies verändern, werden dies aber nicht mit der Abschaffung kurzfristig sinnvoller Instrumente erreichen. Die Ich-AG hat den Vorteil, dass die Gründerin sogar mit einer sozialen Absicherung ausgestattet wird.


INA LENKE: Die Existenzgründungsförderung von Frauen ist konsequent fortzusetzen. Bislang sind Frauen unter den Selbstständigen unterrepräsentiert. Deshalb will die FDP, dass Frauen im Rahmen bestehender Programme zielgruppengerecht, auf ihre spezifischen Bedarfe ausgerichtet, angesprochen und unterstützt werden. Schon in Schulen, im Berufsbildungssystem und im Studium sind Gründergeist und unternehmerisches Denken bei Mädchen und Frauen stärker zu fördern.
Der Existenzgründerzuschuss für die Ich-AG steht in Konkurrenz zu dem älteren und etablierten Überbrückungsgeld. Für das Nebeneinander zweier Förderinstrumente für den Fall der Existenzgründung, die sich nur durch die Dauer der Zahlungen und die Höhe der Förderung unterscheiden, gibt es keine überzeugenden Gründe. Es wäre effektiver, die finanziellen Mittel für die Ich-AG zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags zu verwenden.
Für die FDP steht fest: Eine wirksame Arbeitsmarktpolitik kann nur gelingen, wenn die Arbeitsverwaltung grundlegend reformiert wird, das Versicherungsprinzip in der Arbeitslosenversicherung gestärkt wird, die Kommunen für die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Betreuung der Arbeitslosen zuständig sind und die arbeitsmarktpolitischen Instrumente mit Blick auf ihre Effizienz und eine schnelle Integration in den Ersten Arbeitsmarkt überprüft werden.


MONIKA CHRISTANN: Ich bezweifele, dass die meisten ICH-AGs, d. h. der Weg in die ungesicherte Selbstständigkeit, dem freien Willen der Handelnden entsprechen - oft auch nicht den jeweiligen Fähigkeiten und Interessen. Alle ICH-AGs, die ich kenne, sind nur aus reiner Verzweiflung entstanden, weil mit ALG II nur zu überleben, aber nicht zu leben ist und 1-Euro-Jobs und Zwangsarbeit noch schlimmer empfunden werden. Die im Grundgesetz garantierte freie Wahl der Arbeit wird außer Kraft gesetzt.

Das geschlechterungerechte Überbrückungsgeld ist in der Tat ein Problem. Denkbar wäre für mich nur, dass es kurzfristig ein einheitliches Überbrückungsgeld gibt, das nicht mehr an das vorherige Einkommen gekoppelt ist. Es muss aber so hoch sein, dass in der Planung und ersten Ausführung der Selbstständigkeit trotzdem ein gesichertes Leben ermöglich wird, sonst hat ein neues Unternehmen wenig Chancen. Langfristig würde auch hier das von uns schon im Gründungsprogramm geforderte existenzsichernde "Grundeinkommen" hilfreich sein, auch, damit Menschen ihre Fähigkeiten voll entfalten können.




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Beitrag vom 07.09.2005

AVIVA-Redaktion